Nicht Art gerechte Haltung und Überzüchtungen von Wellensittichen

von Jörg Schmidt

Die munteren, quietschfidelen kleinen Papageien sind schon seit vielen Jahrzehnten bei uns Menschen daheim und be- und geliebte Hausgenossen.  Bereits im Jahre 1840 begann die Haltung und damit die Domestikation des  Wellensittichs in Europa. In Deutschland wurden die ersten Wellensittiche 1855  von der Gräfin von Schwerin in Berlin gezüchtet. Heute befinden sich nach  Schätzungen rund 10 Mio. domestizierte Exemplare im deutschsprachigen  Raum (Deutschland, Österreich und die Schweiz) in Menschenobhut.  Mit dem Beginn der Haltung und Züchtung in Menschenhand begann für den  kleinen Sittich aber auch ein langer Leidensweg unterschiedlicher Art und  Ausprägung. 

Als Erstes ist dabei die nicht Art gerechte Haltung des Wellensittichs als  Einzelvogel in einem viel zu kleinen Vogelbauer zu nennen, die sich von den  Anfängen bis heute noch immer wie ein roter Faden durchzieht.  Was vor über  hundert Jahren und bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein noch als  fehlende Sensibilität gegenüber den Bedürfnissen der Tiere und pure  Unwissenheit zu entschuldigen ist, muss man nach heutigen Maßstäben, wo sich  jeder Tierfreund über Bücher, das Internet und andere Medien umfassend  informieren kann, als pure Ignoranz zu bezeichnen. 

§ 2 TschG: „Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen  ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden ...“

Als nächster, und m. E. viel maßgeblicher zu nennender Punkt, ist die  „Überzüchtung von Wellensittichen“, zum Beispiel bei Schau- oder so  genannten  Standard-Wellensittichen.  

Zunächst einmal, was sagt das Tierschutzgesetz grundsätzlich:

§ 11b TschG: „Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten oder durch bio- oder gentechnische Maßnahmen zu verändern, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, den bio- oder gentechnisch veränderten Tiere selbst  oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.“

Der Schau- oder Standard-Wellensittich wird für so genannte  Schauwett- bewerbe und Ausstellungen gezogen. Dabei haben sich die Wünsche, Ziele und  Vorstellungen, wie ein Wellensittich auszusehen hat, so weit von der  eigentlichen Wildform, einem „drahtigen“, schlanken Wildvogel, entfernt, dass  er fast als eigene, ganz andere Vogelart bezeichnet werden muss. Dieser Schau-  oder Standard-Wellensittich wird  nach einem eigens vom Menschen  aufgestellten Standard zu beträchtlicher Übergröße hin geformt, mit hoher  breiter Stirn und kompaktem, besser gesagt, plumpen Äußeren. Dabei hat er zum  Teil seine sprichwörtliche Fruchtbarkeit und nicht selten sein Flugkönnen  eingebüßt, aber auch seine Lebenserwartung wurde in erheblichem Maße  gekürzt. Er ist in seiner plumpen und klobigen Art zu einem reinen  „Menschenprodukt“ geworden, das für diverse Züchter nur noch zur  Befriedigung des menschlichen Egos dient, vielleicht einmal ein sog. Landes-,  Bundes- oder gar Europa-Champion zu werden.

Neben dem Streben nach noch mehr körperlicher Größe und vor allem  Farbenpracht steht auch das züchterische Interesse, die  Federlänge und – Struktur immer weiter zu verändern. Diesbezüglich wurden in den Kreisen der  Profizüchter zwei Begriffe geprägt, deren Merkmale neben der Farbe künftig  wesentlicher Zuchtmaßstab für das Gesamtaussehen des Standard-Wellensittichs  sein soll. Und zwar für das dichtere vollere Gefieder, der Begriff des „buff“ (dt.  = lederfarben) und für das kürzere straffere Gefieder der des „yellow“ (dt. =  gelb).

Doch plötzlich ist den motivierten Züchtern nach jahre- und jahrzehntelanger  Hochzüchtung dieser Wellensittiche auf die oben genannte Qualität ein  zusätzliches Problem erwachsen, welches bis heute wissenschaftlich noch nicht  genau ergründbar ist, nämlich die Entstehung des so genannten „Featherduster“.  Featherduster bedeutet im Deutschen „Staubwedel“ oder „Federputzer“. Es sind  Wellensittiche, deren Federn so überlang sind, dass sie vom Aussehen her an die  früher weithin benutzten Staubwedel erinnern. Über die tatsächliche Art und  Weise, wie diese Form entsteht, gibt es verschiedene Meinungen. Die eine  Meinung geht davon aus, dass es sich bei diesen um das Resultat zu vieler  Verpaarungen langfiedriger  Wellensittiche, also „Buff“-Vögel handelt, um noch  größer und fülliger wirkende Schauvögel zu produzieren. Die andere Seite  jedoch geht davon aus, dass es sich dabei um einen rezessiven Faktor handelt,  einem Fehler im Gehirn, der das übermäßige Federwachstum auslöst. Außerdem  wird noch davon gesprochen, dass es sich um ein zusätzliches Chromosom  (Trisomie) wie beim Down-Syndrom des Menschen handelt.  Daraus folgt, dass  nicht nur „Buff“-Vögel, sondern auch „Yellow“-Vögel den „Federputzer“  hervorbringen können.

Vom tierschützerischen Gedanken her, spielt das Wie, Warum und Wieso keine erhebliche Rolle. Fest steht vielmehr, dass das Auftreten dieser Mutationen  wieder einmal ein erkennbares Signal dafür ist, wie schädlich doch das stete und  gewaltsame Eindringen des Menschen in den natürlichen Ablauf des Lebens ist.  Es gilt nun alle echten Wellensittich-Freunde dahingehend aufzurütteln,  engagiert mitzuhelfen, die Bevölkerung auf den von den Standard-Wellensittich- Züchtern falsch eingeschlagenen Weg, aufmerksam zu machen und darauf  hinzuarbeiten, in Zukunft solche bedauernswerte Kreaturen bei der  pokalträchtigen Standardzucht verhindern zu können.  

  Kontakt: Jörg Schmidt, Bachstraße 19, 75417 Mühlacker-Enzberg, Email:  JEnzberg@aol.com

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